Sa. 21 Apr. 2012
REO Vilnius – Žalgiris Vilnius 1:2 (0:0)
Geschrieben von admin unter Fussballreisen
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Wenn man dem Taxifahrer sagt, er möge einem doch zum Stadtderby fahren, extra darauf hinweist dass diese Partie nicht wie von ihm behauptet im alten Žalgiris Stadion stattfindet, und er einem dann im Anschluss trotzdem in der bereits halb verfallenen Spielstätte aussteigen lassen möchte, in der schon seit Ewigkeiten kein Erstligaspiel bestritten wurde, dann wird einem wieder bewusst dass Fussball in Litauen so etwas wie eine exotische Randsportart zu sein scheint.
Schliesslich konnte ich den Taxikutscher dann trotzdem dazu bewegen mich in den Norden der Stadt zu bringen. Dort wo die Sportima Arena steht. Obwohl das beste Fussballwetter herrschte dass man sich überhaupt nur vorstellen konnte, fand das Stadtderby zwischen Aufsteiger REO Vilnius und Žalgiris Vilnius in einer überdachten Halle statt. Angeblich bestand REO als Heimmannschaft darauf nicht in freier Natur zu spielen. Ein sonderbarer Verein, wenn dies wirklich so stimmen sollte.
50 Litas verlangte schliesslich der Taxler von mir. Ich blicke ihm tief in die Augen und sagte: „dauuuuug“, was soviel wie „viiiiiel“ bedeutete. Es packte ihn das schlechte Gewissen, und er reduzierte seine Forderung auf 40 Litas. Immerhin 11,50 Euro.
So stehe ich vor der Sportima Arena. Der Andrang hält sich noch in Grenzen. Noch 50 Minuten bis zum Anpfiff. In einem kleinen Kammerl erstehe ich meine Eintrittskarte. Der Preis macht 10 Litas (2,90 Euro) aus. Wahrscheinlich Top bzw. Derbyzuschlag denke ich mir. In Siauliai bezahlte ich ja nur 3 Litas für meinen Eintritt. Naja, Hauptstädte sind ja bekanntlich immer teurer als die Provinz. Ich möchte aber nicht klagen, schliesslich bin ich als Österreicher ja ganz andere Eintrittspreise gewohnt. Ich sage nur: Südtribüne Hanappi Stadion.
Noch nicht viel los im Inneren der Sportima Arena. Der Durst auf ein Bier bleibt mir in der Kehle stecken. Kein Bierstand verfügbar. Nicht einmal Getränkeverkäufer. Das Höchste der Gefühle sind einige Getränkeautomaten mit Zuckersäften und ausgefeilten Kaffeekreationen. Ich schreite an ihnen vorbei und versuche mein Verlangen nach Bier mental zu unterdrücken.
So sieht sie also aus, die Sportima Arena im Norden von Vilnius.
Keine Frage, hier könnte man auch den Winter durchspielen.
Als ich mir einen schönen Platz suchen möchte, werde ich auch schon von einem Ordner belehrt. „Negalima“, meint er zu mir. Ich darf hier nicht sein. Dürfte sich um VIP Plätze handeln, denke ich mir. Das Komische daran: die VIP Plätze haben eine Sichtbeeinträchtigung durch ein Sicherheitsnetz. Direkt auf der anderen Seite gibt es keine Sichtbehinderung, und hier darf ich sitzen, da es sich um keine VIP Plätze handelt. Als ich meine litauischen Freunde auf diese absurde Regelung hinwies, begannen sie herzhaft zu lachen und meinten nur lapidar: „This is Lithuania!“ Naja, mir sollte es recht sein das Spiel ohne Sicherheitsnetze vor den Augen geniessen zu dürfen.
Ich wandere also auf die andere Seite des Platzes.
Der Blick zurück auf die heilige VIP Tribüne (rote Sitze), auf der ich nicht Platz nehmen durfte.
Doch auf der andere Seite gibt es viel bessere Plätze. Ob das die VIP Gäste wissen?
REO Vilnius – Žalgiris Vilnius 1:2 (0:0)
Beginn: 17:00
Sportima Arena, 1.350 Zuschauer
Schiedsrichter: J.Paškovskis (Vilnius)
Torfolge:
1:0 (47.) Soslan Dzhioev
1:1 (57.) Callum Elliot
1:2 (87.) Tomislav Pek
Doch nun genug der Vorberichterstattung. Die Spieler kommen auf das Feld. REO in weiss und Žalgiris traditionsgemäss in grün und weiss. Das Spiel kann beginnen.
Was ist der Aufsteiger REO Vilnius eigentlich für ein Verein? Und was bedeutet REO? Eine Frage die mich schon seit langem quält. Und zwar seit ich sie vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe. Den Bericht über dieses Spiel kann man übrigens hier nachlesen: http://www.rapidler.at/2011/06/24/reo-vilnius-nevezis-kedainiai-01-00/.
Nun, nach Auskunft meiner litauischen Freunde ist REO Vilnius das Spielzeug eines Politikers der einen Parlamentssitz hält. Ich spare mir detailierte Fragen über die ideologische Ausrichtung dieser Person. Sehr beliebt dürfte er im Volke aber nicht sein, da mir versichert wird dass REO Vilnius in der ganzen Stadt verhasst sei.
Das Spiel selbst geht recht flott dahin. Mein Sitznachbar sieht riesengrosse Qualitätsunterschiede zwischen den Mannschaften. Zu Gunsten von Žalgiris versteht sich. Ich kann diese Einschätzung aber nicht teilen. Sicher, Žalgiris ist leicht feldüberlegen, so wie in Siauliai, doch zwingende Einschussmöglichkeiten sehe ich in der 1. Halbzeit nur wenige, und die eine Chance die REO hat, ist so gut wie alle Torchancen von Žalgiris zusammen.
Der Trainer von REO Vilnius, Stasys-Vytautas Baranauskas (Mitte), nimmt von der 1. Minute an freiwillig lieber stehend auf der Tribüne Platz, anstatt auf der Trainerbank zu sitzen. Wenn ihn der Schiedsrichter bestrafen wollen würde, wäre die Verbannung auf die Tribüne also keine richtige Strafe. Baranauskas müsste daher also entweder die Halle verlassen oder … auf der Trainerbank Platz nehmen. Was für eine Strafe wäre das wohl für ihn? Als Österreicher ist mir sein Name natürlich ein Begriff. Er spielte von den Jahren 1990 bis 1994 für Pasching, FavAC, und der Vienna.
REO steht hinten sehr gut. Die nicht zwingenden Torchancen für Žalgiris in der ersten Halbzeit kann man wohl an einer Hand abzählen. Baranauskas hat seine Truppe gut eingestellt.
Auch in dieser Situation scheitert einer der Žalgiris Angriffe. Žalgiris Vilnius ist zwar feldüberlegen, kann aber wenig damit anfangen.
Auch hier: Žalgiris Vilnius greift an – und scheitert noch vor einem Abschluss.
Die 2. Halbzeit beginnt mit einem schnellen Angriff von REO Vilnius …
… daraus resultiert kurz nach dem Anpfiff zur 2. Halbzeit der für mich nicht überraschende Führungstreffer. Einige Minuten später die 100%ige Chance zum 2:0 für REO. Doch es versagen dem REO Stürmer die Nerven. Das wäre wohl die Vorentscheidung gewesen.
Der REO Anhang provoziert mit dem römischen Gruss.
Langsam aber sicher findet Žalgiris Vilnius aber immer besser in das Spiel.
Schliesslich gelingt der Ausgleich in der 57. Minute. Ein verlängerter Schuss aus schrägem Winkel. Erstklassig gemacht vom schottischen Torjäger Callum Elliot. Danach hat er es eilig den Ball wieder auf den Anstosspunkt zu bringen. Keine Frage, der Schotte möchte jetzt die 3 Punkte.
Der REO Fanblock im Blick. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich bei einem REO Heimspiel von lautstarken Fans noch nichts bemerkt. Nun zählt der aktive Anhängerklub bereits 7 Personen. „Da entsteht was Grosses“, würde ein euphorisierter FC Red Bull Konsument wohl dazu sagen.
Was sie wohl antreibt einen Verein wie REO gut zu finden? Ob es sich dabei um die Parteijugend des Politikers handelt? Oder um Brüder und Cousins der Spieler? Um die wahren Hintergründe direkt an der Quelle zu erforschen fehlt mir aber die Motivation.
Auf dieser Tribüne verbrachte ich die ersten 75 Minuten. Jetzt wechsle ich noch einmal die Seite.
Auf der anderen Seite der Tribüne: Die Žalgiris Fans.
Auf meine Frage an einen Žalgiris Ultra was er denn von REO Vilnius halte, meinte dieser: „They are shit!“ Vielleicht hätte ich die Frage intelligenter stellen sollen. Irgendwie hat mich die Antwort nämlich nicht überrascht.
In den letzten 10 Minuten der Partie drängt Žalgiris wehement auf den Siegestreffer. REO ist vollkommen unter Druck. Warum geht es erst jetzt auf einmal? Sind es die schwindenden Kräfte von REO? Hat Žalgiris noch einmal die berühmte zweite Luft bekommen? Ein Tor von Callum Elliot wird auch nicht gebeben. Die Dramatik treibt in den letzten Minuten auf ihren Höhepunkt zu.
Gespannt verfolgt der Žalgiris Anhang das Geschehen.
Packende Szenen vor dem REO Tor gibt es fast im Sekundentakt. REO kommt in dieser Phase des Spiels kaum mehr zum Verschnaufen.
… und wieder eine Chance für Žalgiris dahin. Callum Elliot rauft sich seinen kurzgeschorenen Kopf.
Die Zuschauer sehen eine packende Schlussphase mit Žalgiris am Drücker.
TOOOR! Schliesslich ist es doch noch passiert. Der auf Grund der 2. Halbzeit verdiente Siegestreffer 3 Minuten vor dem Ende.
Die Žalgiris Fans toben! Derbysiege sind ja immer schön.
Die 3 Punkte werden in den wenigen verbleibenden Minuten souverän nach Hause gespielt.
Schlusspfiff und Ende. Žalgiris Vilnius gewinnt das Stadtderby 2:1. Noch ein Blick zurück auf die überdachte Spielstätte. Taxi nehme ich jetzt keines mehr. Ich fahre mit dem Bus nach Hause.
Zwei Fussballspiele direkt an einem Tag. Wann hatte ich sowas das letzte Mal? Muss Ende der 90er gewesen sein. 1. FC Nürnberg gegen Fürth am Nachmittag und am Abend Rapid Wien gegen FC Linz in Linz. 😀